Chronik     und     Dokumente  -      NSG Selketal                 Schutzgebietserklärung vom 30. März 1961

DAS NATURSCHUTZGEBIET SELKETAL

77,50 ha; Kreise Aschersleben und Hettstedt: MTB 4333
Schutzanordnung: AO MLEF (DDR) v. 30.3.1961

Lage: Von Meisdorf 2,5 km Selke aufwärts an der Burg Falkenstein; 200 bis 340 m ü.NN; Landschaftseinheit: Unterharz und Hornburger Sattel (13.3.).
Das NSG besteht aus zwei Teilen: Der größere bewaldete Teil am Schatthang der Selke umschließt die Burg Falkenstein; auf dem schroffen Südhand dominieren Steppenelemente.

Geologie: Das NSG gehört geologisch zum Kern der Selkemulde mit unterkarbonischen Sedimenten (Klocke 1958). Es stehen massige, derbe Grauwacken an; Tonschiefer und Grauwackenschiefer sind eingelagert. Das im frischen Zustand blaugraue Gestein besteht aus vielen Quarz und Feldspatkörnchen und weißem Glimmer; es verwittert schwer, steht deshalb im NSG in zahlreichen Felsen an und überrollt die Hänge in größeren Blöcken. Der im Holozän aufgeschüttete Talboden mit schotterreichen Lehmen trennt die beiden Gebietsteile voneinander.

Geomorphologie: Die beiden Teile des NSG sind morphologisch vielfältig untergliedert. Durch einen halbkreisförmigen Talmäander treten an den Talwänden Expositionsgegensätze auf, die durch steile Seitentäler, Hangrunsen und tiefe Wasserrisse vermehrt werden. Die etwa 200 m breite Talsohle verengt sich im Mäanderhals nahezu um die Hälfte, so daß die zunächst nur stark geneigten bis steilen Wände (etwa 20°) in der Engstelle schroff (35°) aufsteigen. Sie sind von zahlreichen Klippen durchsetzt und stellenweise mit Gesteinstrümmern (Schutthalden) überrollt. 125 m über der Aue liegt auf einem felsigen, gratartigen, sehr schroffen (35 bis 50°) Sporn die Burg Falkenstein. Die Talwände, die bei rund 200 m ü. NN von der Sohle aufsteigen, gehen mit deutlich abgesetzter Kante bei 340 m ü. NN in die Hochfläche über.

Klima: Die niedrige Gebirgslage und die wenn auch stark abgeschwächte Leelage am Harznordrand bewirken im Vergleich zu anderen Landschaften des Harzes mit 8,5°C Jahresmitteltemperatur und einer Jahresniederschlagssumme von etwa 550 mm mit ausgesprochenem Sommerniederschlagsmaximum ein dem Harzvorland ähnliches Klima. Durch die relativen Höhenunterschiede bis zu 140 m kann sich eine warme Hangzone ausbilden. Expositionsunterschiede, die sich auch in der Vegetationsdifferenzierung widerspiegeln, werden durch die Selke Talmäander verursacht. Besonders wärmebegünstigt mit starker Austrocknungsgefahr ist der süd bis südwestexponierte Selketal Nordhang, während die Schatthangseite der Falkenburg kühler und feuchter bleibt.

Boden: Über einheitlichem geologischem Untergrund sind entsprechend der Reliefdifferenzierung Silikat Syroseme und Schuttrankerböden mit Übergangsbildungen zu den Braunerden entwickelt. Entscheidend ist dafür aber auch der Ton Schluff Anteil, der im wesentlichen aus der Tonschieferverwitterung herrührt. In flachen Geländermulden und den hangabwirtig gelegenen Runsenteilen setzt auf wasserzügigen Standorten Unterbodenvergleyung ein, die im Unterhang bis zur Ausbildung von schuttreichen Braungleyen führt.

Flora und Vegetation: Expositionsbedingt treten in den Hängen des Selketals unterschiedlich ausgebildete Pflanzengesellschaften auf. Offene Vegetationseinheiten bilden mit wärmeliebenden, bodensauren Eichen- und Eichenmischwäldern ein Vegetationsmosaik an den Südhängen der Selke. Trockenheitsresistente Felsspaltgesellschaften mit Nördlichem Streifenfarn (Asplenium septentrionale) kommen kleinflächig an den Felsabstürzen vor. Dünne Grusschichten (silikat-Syrosem) auf Felsgesimsen oder Felspodesten werden von einer therophytenreichen Felsflur besiedelt, die der Heideehrenpreis-Schafschwingelgesellschaft (Allio-Veronicetum dillenii) des Bodetals entspricht (Schuster 1942). Auch im Selketal kommt der Ausdauernde Lattich (Lactuca perennis) noch häufig, wenn auch auf begrenzten Standorten, vor. Flachgründige, humose Verwitterungsböden (Mullartige Ranker), die im Sommer stark, austrocknen, werden von Thymian Blauschwingelrasen (Thymo Festucetum) besiedelt. Sandthymian (Thymus serphyllum), Blauschwingel (Festuca cinera), und Astlose Graslilie (Anthericum liliago) sind typische Arten der Gesellschaft. Fiederzwenke (Brachypodium pinnatum), Stengellose Kratzdistel (Cirsium acaule) und Dorniger Hauhechel (Onoitis spinosa) sind auffällige Arten des Fiederzwenken Hallbtrockenrasens (Adonido Brachypodietum), der gleichfalls auf das nördliche Teilgebiet beschränkt ist. Bemerkenswert ist für diese Gesellschaft das Vorkommen des Federgrases (Stipa pennata), worin Beziehungen zu den planarkollinen Trockenrasen zum Ausdruck kommen.

Felsgebüsche mit Gemeiner Zwergmispel (Cotoneaster integerrimus), Wildrosen (Rosa spec.), Besenginster (Sarothamnus scoparius) und Färberginster (Genista tinctoria) besiedeln äußerst arme Felsstandorte, besonders Grate und Felsspalten. Diese offenen Pflanzengesellschaften bilden ein Vegetationsmosaik, das sich auf wenigen Metern ändert, aber strenge Abhängigkeit von Relief und Bodenbildung erkennen läßt. An den Südhängen des NSG stocken auf flach bis mittelgründigen Verwitterungsböden wärmeliebende Eichenwälder. Verbreitet ist der Pechnelken Eichenwald (Viscario Querectum), der, neben einem Grundstock azidophiler Arten, durch wärmeliebende, subkontinentale Arten, wie Pechnelke (Viscaria vulgaris) und Salomonssiegel (Polygonatum odoratum), gekennzeichnet ist. Eichen Birkenwald ohne wärmeliebende Elemente ist nur fragmentarisch entwickelt. Aus dem Gebiet beschreibt Schubert (1960) eine Pechnelken Ausbildungsform des Eichen Birkenwaldes, die zum Pechnelken Eichenwald vermittelt oder überhaupt dort einzuordnen ist. Kleinflächig tritt Eichen Hainbuchenwald (Galio Carpinetum) auf.

Das südliche Teilgebiet ist durch Waldgesellschaften frischer Standorte submontan-kolliner Verbreitung ausgezeichnet. An den Hängen im Westen und Osten des Teilgebietes stockt bodensaurer Wachtelweizen-Traubeneichen Buchenwald (Melampyro Fagetum), der auf flachgründigen Hangrippen und an exponierten Oberhangkanten vom Schafschwingel Buchen Traubeneichenwald (Festuco Querecetum) abgelöst wird.
Geophytenreicher Bergahorn Buchenwald beschränkt sich auf reiche, wasserzügige Braunerden in flachen Celändermulden. Steinschutt Schluchtwald (Aceri Fraxinetum) mit Bergahorn (Acer pseudoplatanus), Esche (Fraxinus excelsior), Sommerlinde (Tilia platyphyllos), Spitzahorn (Acer platanoides), Hainbuche (Carpinus betulus) und Rotbuche (Fagus sylvatica) besiedelt die steinigen, wasserzügigen Steilhänge und Runsen. In dieser Waldgesellschaft wächst das Ausdauernde Silberblatt (Lunaria rediviva). Am Rande der Hochfläche reicht mesotropher Eichen Hainbuchenwald (Poa chaixii Carpinetum) noch in das NSG. Im Talgrund siedelt im Ostteil der Selke Erlen-Eschenwald (Pado Fraxinetum) (Schubert 1975). An die Stelle der naturnahen Laubmischwälder sind stellenweise Fichtenforste getreten.

Das NSG wurde mykofloristisch eingehend bearbeitet (Gröger 1970, Dörfelt 1974). Beachtenswert sind Mycena crocata im Aceri-Fraxinetum, Geastrum fimbriatum und Oudemansiella mucida im Melampyro Fagetum und Inonotus dryadeus, Hericium erinaceus in den Eichen Trockenwäldern und an Felswänden. An Eiche parasitiert Phellinus robustus. In Fichtenforsten treten bereits Arten mit montan submontaner Verbreitung auf, wie Porphyrellus pseudoscaber, Hygrophorus pustulatus und Russula mustelina.

Fauna: Das Gebiet war durch das Vorkommen des seltenen Haselhuhns (Tetrastes bonasia) und der Wildkatze (Felis silvestris) (Schuh et al. 1971) ausgezeichnet. Die Existenz des Haselhuhns konnte in den letzten Jahren nicht mehr bestätigt werden. Das hier eingebürgerte Mufflon (Ovis ammon musimon) hat Fuß gefaßt und breitet sich aus (Schuh und Tietze 1975). In der Burg Falkenstein hat die vom Aussterben bedrohte Fledermausart Kleine Hufeisennase (Rhinolophus hipposideros) Wochenstube und Winterquartier (Handtke in litt.), das Braune Langohr (Plecotus auritus) ein Winterquartier (Stratmann in lit.).

Über das Vorkommen der Groppe (Cottus gobio) in der Selke berichtet Hrcirik (1967). Von der Herpetofauna wurden bisher Feuersalamander (Salamandra salamandra), Berg- und Teichmolch (Triturus alpestris, T. vulgaris), Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans), Erdkröte (Bufo bufo), Grasfrosch (Rana temporaria) und Blindschleiche (Anguis fragilis) nachgewiesen.

Zur Entomofauna liegen Untersuchunggsergehnisse über die Besiedlung von 4 verschiedenen Waldgesellschaften vor (Tietze 1977). Körnig (1966) untersuchte die Gastropodenfauna. In den Gründchenwäldern sind Azeca menkeana (westeuropäisch), Iphigena ventricosa, Acicula polita, Ena montana und Clausilia cruciata von Bedeutung. In den Steilhang Schluchtwäldern kommen die bemerkenswerten Arten lphigena lineolata (westeuropäisch), Orcula doliolum, Oxychillus alliarius (atlantisch), Clausilia dubia, Laciniaria cana (osteuropäisch) und Isognomostoma isognomostoma vor, in den Felsfluren um die Burg Falkenstein Balea perversa (westeuropäisch), Clausilia parvula, Truncatellina cylindrica, T. costulata, Orcula dolidum, Cecilioides aeicula (mediterran), Laciniaria plicata und Helicigona lapicida. In den Eichenmischwäldern sind Aegopinella minor (südosteuropäisch), Cochlicopa lubricella und Arion intermedius bedeutsam.

Gebietszustand: Die Bestockung des NSG besteht überwiegend aus Altbeständen (Buche 120 bis 150 Jahre, Eiche 180 bis 230 Jahre), die z. T. in die Verjüngungsphase eingetreten sind. Forstliche Pflegeeingriffe dürfen nur zur Förderung der Naturverjüngung durchgeführt werden. Größere Teile des Gebietes sind erosionsgefährdete Steilhänge, an denen jede Nutzung entfällt. Die südexponierten Steilhänge mit Xerotherimvegetation, besonders am "Bunten Fleck", sind stark verbuscht und bedürfen dringend der Auflichtung. Das Gebiet um die Burg Falkenstein wird stark durchwandert.

Gesellschaftliche Aufgabenstellung: Das NSG dient vorrangig der Dokumentation von naturnahen Buchen und Buchen Traubeneichenwäldern mit charakteristischer Bodenvegetation sowie von Eichenwäldern, Waldsteppen und Felsheiden. Besonders wertvoll ist das Vorkommen von Federgras auf einem weit in das Harzinnere vorgeschobenen Standort.

Handbuch der Naturschutzgebiete der Deutschen Demokratischen Republik
herausgegeben von Professor Dr. sc. Hugo Weinitschke
Band 3
Dr. P. Hentschel, Dr. L. Reichhoff, Dr. B. Reuter, Dr. B. Rossel
Die Naturschutzgebiete der Bezirke Magdeburg und Halle
Urania-Verlag Leipzig, Jena, Berlin
2. überarbeitete Auflage 1983
unter Mitarbeit von Dr. W. Böhnert, A. Hinsche, Dr. H. Jage, Dr. K. Liedel, Dr. J. Müller, Dr. W. Schnelle, Dr. U. Wegener


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