GEWÄSSERÖKOLOGIE DER SELKE UND IHRER
NEBENBÄCHE
Prof. Dr. U. Heitkamp – Planungsbüro
Prof. Heitkamp, Gleichen- Diemarden
Vortrag – gehalten auf der
Selketalkonferenz am 31. Aug. 2002 in Meisdorf (Kurzfassung)
Die Selke gehört zu den
Fliessgewässern des Nordostharzes und seines Vorlandes, deren Struktur und
Lebensgemeinschaft vor allem durch Geologie und Abflussdynamik geprägt wird. Im
Vorharzgebiet treten verstärkt die Einflüsse der menschlichen Nutzung auf.
Die Selke durchfließt im Harz Gesteinsformationen, die sich durch
Basen(Kalk)armut und niedrige Erosionsraten auszeichnen. Dazu gehören im Bereich
der Quellbäche vor allem Tonschiefer (und Quarz), ab Alexisbad Tonschiefer,
Kieselschiefer und Grauwacke. Ab Meisdorf, im Harzvorland bis zur Mündung in die
Bode, dominieren dann quartäre Flussschotter mit Kiesen und Sanden sowie
Auelehme.
Die basen- und damit pufferungsarmen silikatreichen Gesteine des Harzes haben
zur Folge, dass die Quellbäche durch Deposition von Luftschadstoffen mehr oder
weniger stark versauert sind. Pufferung durch menschliche Einflüsse, z. B.
punktuelle Einleitung geklärter Abwässer, erfolgt ab Strassberg und Alexisbad,
so dass die pH-Werte dort wieder im neutralen oder leicht alkalischen Bereich
liegen. Der gesamte Oberlauf bis zum Austritt aus dem Harz ist weitgehend
naturnah, mit Ausnahme mehrerer kleinerer Talsperren in den Oberläufen sowie
durch Verbau in Siedlungsbereichen. Der Bachverlauf ist in Kerbtälern gestreckt,
in Sohlentälern leicht gewunden bis mäandrierend. Das Substrat besteht aus
anstehendem Fels, Steinblöcken, Geröll, Schotter, Kies und Sand. Die
Fließgeschwindigkeiten sind, aufgrund der naturnahen Struktur, im Längs- und
Querschnitt variabel von „schiessend“ (>100 cm/s) bis „schwach fließend“ (<10
cm/s). Der Chemismus entspricht dem eines Silikatbaches des Harzes, die
Sauerstoffgehalte schwanken im natürlichen Bereich um die 100 %-Marke, die
Temperaturen liegen auch in den Sommermonaten in einem niedrigen bis mittleren
Bereich unter 15°C.
Danach handelt es sich beim Selkelauf des Harzes um einen sommerkühlen
Silikatbach der Mittelgebirge, mit grobem Substrat, starken Abflussschwankungen
und ausgeprägter Abflussdynamik mit längerdauernden Niedrigwasserperioden und
kurzen, z. T. extremen Hochwasserspitzen mit starkem Geschiebetrieb, tiefen
Temperaturen, die selten über 15°C ansteigen, hohem Sauerstoffgehalt,
Nährstoffarmut (niedrige N + P-Gehalte) und Elektrolytarmut.
Derartige Silikatbäche des Harzes zeichnen sich durch eine artenreiche Fauna mit
zahlreichen Charakterarten des Harzes bzw. der Mittelgebirge sowie i. a.
Individuenarmut aus. In den versauerten Quellbächen fehlen die
versauerungssensitiven Arten, wie Strudelwürmer, Schnecken, Flohkrebse,
Eintagsfliegen sowie verschiedene Vertreter der Wasserkäfer, Stein- und
Köcherfliegen. Typisch für versauerte Bäche sind Artenkombinationen
versauerungstoleranter Stein- und Köcherfliegen, u. a. verschiedene Arten der
Steinfliegengattungen Amphinemura, Protonemura, Nemoura und Leuctra sowie die
Köcherfliegen Chaetopteryx villosa, Drusus annulatus und Plectrocnemia conspersa.
Der Mittellauf ab Alexisbad zeichnet sich durch einen hohen Artenreichtum und
teilweise hohe Individuendichten aus. Hier kommt das gesamte Spektrum der
Zoozönose eines wenig belasteten, strukturreichen Harzbaches vor.
Charakteristisch für diesen Abschnitt sind vor allem solche Arten, die an
Grobsubstrate, hohe Fliessgeschwindigkeiten und hohe Sauerstoffgehalte sowie
niedrige Temperaturen angepasst sind. Dazu zählen u. a. die Eintagsfliegen
Epeorus sylvicola, Rhithrogena picteti und Ecdyonurus submontanus, die
Steinfliegen Dinocras cephalotes und Perlodes microcephalus, die Wasserkäfer
Oreodytes sanmarkii, Esolus angustatus und Limnius perrisi sowie die
Köcherfliegen Anomalopterygella chauviniana, Odontocerum albicorne, Rhaycophila
obliterata, Plectrocnemia geniculata etc.
Die naturschutzfachlichen Bewertungsverfahren von Lebensräumen und
Lebensgemeinschaften werden heute durch ganzheitliche, ökologische und
biozönotische Kriterien bestimmt. Die Grundlage für die Bewertung bilden
Leitbilder, bei denen dynamische Prozesse des Abflussgeschehens, der
Gewässermorphologie, des Stoffhaushaltes, der Zusammensetzung und Entwicklung
der Biozönosen sowie der Struktur und Funktion der Auen im Vordergrund stehen.
Danach handelt es sich bei dem Abschnitt der Selke im Bereich des Harzes um ein
weitgehend naturnahes Gewässer mit typischer Lebensgemeinschaft und vielen
charakteristischen und gefährdeten Arten, dessen naturschutzfachlicher Wert,
trotz einiger erheblicher Beeinträchtigungen, als sehr hoch eingestuft werden
kann. Dies ist auch der Grund dafür, dass das Gewässer mit seiner Aue als NSG
und FFH-Gebiet eingestuft wurde.
Nach dem Austritt aus dem Harz ab Meisdorf ändern sich die Verhältnisse
deutlich. Die Ursachen sind in anthropogenen Beeinträchtigungen zu suchen, vor
allem wasserbaulichen Eingriffen wie Begradigungen, Uferverbau und
Querbauwerken, diffusen Einträgen aus landwirtschaftlichen Flächen, die zu einer
deutlichen Eutrophierung führen, Verdrängen der natürlichen Auenvegetation durch
Siedlungen und landwirtschaftliche Intensivflächen. Dies hatte gravierende
Auswirkungen auf Struktur und Zoozönose. Viele der sog. Reinwasserarten haben im
Unterlauf keine Lebensmöglichkeiten mehr und werden durch euryöke Formen
ersetzt. Hier kommen z. B. die Eintagsfliegen Baëtis rhodani und B. vernus zur
Dominanz, abwassertolerante Formen wie Egel und Wasserschnecken (Erpobdella,
Radix) haben sich ausgebreitet und bestimmen das Bild der Lebensgemeinschaft.
Auf der anderen Seite sind, als Potential des naturnahen Flusses, noch einige
der charakteristischen Arten in niedriger Dichte vorhanden. Insgesamt ist der
Flusslauf der Selke im Harzvorland in seiner Struktur und Lebensgemeinschaft
stark verändert, besitzt aber noch ein hohes Potential zur Entwicklung einer
naturnahen Lebensgemeinschaft.
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