Chronik     und     Dokumente

Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 5/922
Fünfte Wahlperiode 22.10.2007
(Ausgegeben am 23.10.2007)

Antwort der Landesregierung
auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung

Abgeordneter Ralf Bergmann (SPD)                                                             Kleine Anfrage - KA 5/6364

Natur- und Hochwasserschutz an der Selke

Vorbemerkung des Fragestellenden:

Die Hochwasserschutzkonzeption des Landes Sachsen-Anhalt sieht unter anderem vor, bei Meisdorf ein Hochwasserrückhaltebecken zu bauen. Das Selketal oberhalb von Meisdorf ist Naturschutz-, FFH- und Vorranggebiet für Natur und Landschaft.

Antwort der Landesregierung

erstellt vom Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt

Frage Nr. 1:
Wie hoch ist das Schadenspotenzial eines HQ 100 der Selke, wenn das Hochwasserrückhaltebecken bei Strassberg fertiggestellt ist und auf das Rückhaltebecken bei Meisdorf verzichtet wird sowie weitere denk- und finanzierbare Hochwasserschutzmaßnahmen entlang der Selke ergriffen wurden? Die weiteren Maßnahmen sollten aufgeführt und in ihrer Wirkung differenziert dargestellt werden
.

Im Ergebnis des Selkehochwassers 1994 als bisher größtem dokumentiertem Hochwasser im Selkegebiet wurden Schäden in zehn Ortslagen in Höhe von 53,526 Millionen DM erfasst. Dieses Hochwasser wurde hinsichtlich der Jährlichkeit in die Größenordnung eines HQ 200 eingeordnet.

Eine gesonderte Erfassung des Hochwasserschadenspotenzials für ein HQ 100 für das Selke-Einzugsgebiet liegt der Landesregierung nicht vor. Es besteht das Ziel, geschlossene Siedlungsgebiete vor einem 100-jährlichen Hochwasser zu schützen. Dieses Schutzziel steht in Übereinstimmung mit dem Baugesetzbuch (sichere Wohn- und Arbeitsbedingungen für die Wohn- und Arbeitsbevölkerung).


Das Schutzkonzept für das Einzugsgebiet der Selke betrachtet als Kernstück beide Hochwasserrückhaltebecken (HRB) und ergänzend den erforderlichen Ausbau in den Ortslagen, um ausuferungsfreie Abflussverhältnisse zu schaffen. Ohne diese begleitenden Maßnahmen des Gewässerausbaus und ohne das HRB Meisdorf ist das Schutzziel nicht zu erfüllen.

Die Optimal-Lösung im Gesamtkonzept zur Verbesserung des Hochwasserschutzes für die Ortslagen an der Selke ist Resultat einer Vielzahl von Variantenuntersuchungen. Diese basieren auf den zwischen 1997/98 und 2002 durchgeführten insgesamt zehn Grundlagenermittlungen, Studien, Gefährdungsanalysen, mathematischen Modellierungen, Vergleichsrechnungen unter Einbeziehung wasserwirtschaftlicher und ökonomischer Sachverhalte zur Verbesserung des Hochwasserschutzes im Selkegebiet, deren Zusammenfassung der Hochwasseraktionsplan Selke darstellt.

Untersucht und bewertet wurden neun Hauptvarianten zur Erreichung der Zielstellungen einer schadlosen Abführung eines 100-jährlichen Hochwassers durch die Ortslagen an der Selke mit Untervarianten, sodass schlussendlich 14 Varianten zu bewerten waren. Besonderer Schwerpunkt hierbei war die Wirksamkeit der Harzteiche hinsichtlich ihrer Lage, Rückhaltemöglichkeit und ökologischen Bedeutung sowie der bergrechtlich auszuschließende aber immer wieder nachgefragte Neubau eines HRB im Uhlenbachtal. Besonders letztgenannte Untersuchungen wurden gefordert, um Alternativen zum Bau des HRB Meisdorf aufzuzeigen, die es aus wasserwirtschaftlicher Sicht eines effizienten Beckenstandortes entsprechender Größe am Ende des oberen Selkeabschnittes (nicht in Seitentälern) zum Schutz der Ortslagen ab Meisdorf nicht gibt.

Zwischenzeitlich wurden sinnvoll erscheinende ergänzende Vorhaben an den Harzteichen Kiliansteich, Frankenteich, Teufelsteich und Fürstenteich umgesetzt und vergrößerte Hochwasserschutzräume geschaffen und der Hochwasser-Pegel in Günthersberge fertig gestellt.

Letztlich wurde bereits im Jahr 2002 nachgewiesen, dass keine Alternative zum HRB Meisdorf besteht und keine andere wasserbauliche Maßnahme oder eine Kombination mit anderen wasserbaulichen Maßnahmen geeignet ist, die Ortslagen ab Meisdorf vor Hochwasser zu schützen.

Aufgrund der topographischen Gliederung des Flusseinzugsgebietes ist die Wirkung des geplanten HRB Straßberg räumlich auf den Oberlauf der Selke begrenzt. Bereits ab der Ortslage Mägdesprung wird durch Seitenzuflüsse ein Hochwasserdurchfluss von fast 70 m³/s erreicht.

Die Selke kann in den Ortslagen unterhalb ausuferungsfrei nur zwischen 10 und 30 m³/s bei bordvollem Abfluss schadensfrei abführen, was im Mittel einem HQ 5 bis HQ 10 entspricht. Die Möglichkeiten für Querschnittsaufweitungen sind begrenzt und würden in der Summe einen größeren Flächenanteil in Anspruch nehmen, als der Bau der HRB. Darüber hinaus stellen diese Maßnahmen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit für den Hochwasserschutz und wegen der Kosten keine Alternative dar.

Zur derzeit verfolgten Variante VIII, Bau des HRB Meisdorf in Kombination mit dem HRB Strassberg und Verbesserung des Hochwasserschutzes an den Harzteichen besteht keine Alternative.

Frage Nr. 2:
Welche Baumaßnahmen wurden seit 1990 im Überschwemmungsgebiet eines HQ 100 an der Selke unterhalb des geplanten Hochwasserrückhaltebeckens getätigt und mit welchem Schadenspotential sind diese Baumaßnahmen verbunden?

Eine Übersicht über Baumaßnahmen seit 1990 im Überschwemmungsgebiet eines HQ 100 an der Selke liegt der Landesregierung nicht vor. Daher können zum gegenwärtigen Schadenspotenzial keine dezidierten Aussagen getroffen werden.

Allgemein bekannt ist, dass zahlreiche Sanierungsarbeiten an der Verkehrsinfrastruktur, so an Landes- und Kreisstraßen sowie Bahnanlagen erfolgten. Hinzu kommen umfangreiche Sanierungsarbeiten an Hochbauten der örtlich ansässigen Gemeinden und der Anwohner sowie Investitionen der gewerblichen Wirtschaft, beispielhaft der Biotechnologie-Branche in Gatersleben.

Frage Nr. 3:
Welche Arten der Flora-Fauna-Habitat- und Vogelschutzrichtlinie sind im Selketal vertreten und wären bei einem Rückstau entsprechend des HQ 100 potenziell gefährdet?

Für die unmittelbaren Standorte der HRB und deren Rückstauraum liegen standortbezogene FFH-Untersuchungen vor. Die konkrete Betroffenheit der vorhandenen Arten ist im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung zu bewerten, deren Ergebnisse jedoch noch nicht vorliegen.

Arten nach Anhang II FFH-Richtlinie im FFH-Gebiet „Selketal und Bergwiesen bei Stiege“

1096

 Bachneunauge (Lampetra planeri)

1163

 Groppe (Cottus gobio)

1166

 Kammmolch (Triturus cristatus)

Aufgrund der Lebensweise kann eine nachrangige Betroffenheit folgender ebenfalls vorkommender Arten vermutet werden:

1078

 Spanische Flagge (Euplagia quatripunctaria)

1323

 Bechsteinfledermaus (Myotis bechsteini)

1324

 Großes Mausohr (Myotis myotis)

Arten nach Anhang I der Vogelschutzrichtlinie im Vogelschutzgebiet „Nordöstlicher Unterharz“:

A030

Schwarzstorch (Ciconia nigra)

A072

Wespenbussard (Pernis apivorus)

A074

Rotmilan (Milvus milvus)

A103

Wanderfalke (Falco peregrinus)

A215

Uhu (Bubo bubo)

A223

Rauhfußkauz (Aegolius funerus)

A229

Eisvogel (Alcedo atthis)

A234

Grauspecht (Picus canus)

A236

Schwarzspecht (Dryocopus martius)

A238

Mittelspecht (Dendrocopus medius)

A320

Zwergschnäpper (Ficedula parva)

A338

Neuntöter (Lanius collurio)

 

Frage Nr. 4
Welche Arten der Roten Liste kommen mit welcher Einstufung im Selketal vor?

Im näheren Bereich der Selke (Selketal und direkt anschließende Flächen) kommen die nachfolgend aufgeführten Arten der Roten Liste Sachsen-Anhalts vor. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern entspricht der derzeit plausibilisierten Datenlage.

Art (lat.)

 Art (deutsch) RL

Kat.

 

 

 

Coleoptera

 Käfer

 

Bembidion millerianum HEYDEN, 1883

 Gebirgsbach-Ahlenläufer

 1

Bembidion stomoides DEJEAN, 1831

 

 2

Blethisa multipunctata (LINNAEUS, 1758)

 

 3

Carabus intricatus LINNAEUS, 1761

 

 R

Lebia cruxminor (LINNAEUS, 1758)

 

 R

Trechus rubens (FABRICIUS, 1792)

 

 2

Lucanus cervus (L.)

 Hirschkäfer

 3

 

 

 

Lepidoptera –

Schmetterlinge

 

Euplagia quadripunctaria (PODA, 1761)

 Spanische Flagge

 2

Maculinea arion (LINNAEUS, 1758)

 Quendel-Ameisenbläuling

1

Proserpinus proserpina (PALLAS, 1772)

 Nachtkerzenschwärmer

 2

 

 

 

Pisces & Cyclostomata

 Fische & Rundmäuler

 

Cottus gobio

 Groppe

 2

Lampetra planeri

 Bachneunauge

 2

Phoxinus phoxinus

 Elritze

 2

Salmo trutta f.fario

 Bachforelle

 3

Thymallus thymallus

 Äsche

 2

 

 

 

Amphibia & Reptilia

 Lurche & Kriechtiere

 

Alytes obstetricans

 Geburtshelferkröte

 R

Coronella austriaca LAURENTI, 1768

 Schlingnatter

 2

Natrix natrix

 Ringelnatter

 3

Rana temporaria Grasfrosch

 

 V

Salamandra salamandra

 Feuersalamander

 3

Triturus alpestris

 Bergmolch

 G

Triturus cristatus

 Kammmolch

 3

Triturus helveticus

 Fadenmolch

 R

Vipera berus

 Kreuzotter

 2

 

 

 

Aves

 Vögel

 

Acrocephalus palustris

 Sumpfrohrsänger

 V

Alcedo atthis

 Eisvogel

 V

Anthus trivialis

 Baumpieper

 V

Apus apus

 Mauersegler

 V

Carduelis cannabina

 Bluthänfling

 V

Cuculus canorus

 Kuckuck

 V

Emberiza citrinella

 Goldammer

 V

Falco peregrinus

 Wanderfalke

 3

Ficedula parva

 Zwergschnäpper

 R

Hippolais icterina

 Gelbspötter

 V

Hirundo rustica

 Rauchschwalbe

3

Jynx torquilla

 Wendehals

 V

Locustella naevia

 Feldschwirl

 V

Milvus milvus

 Rotmilan

 3

Motacilla alba

 Bachstelze

 V

Oriolus oriolus

 Pirol

 V

Passer domesticus

 Haussperling

 V

Passer montanus

 Feldsperling

 3

Pernis apivorus

 Wespenbussard

 3

Phoenicurus phoenicurus

 Gartenrotschwanz

 3

Phylloscopus sibilatrix

 Waldlaubsänger

 V

Picus viridis

 Grünspecht

 V

Streptopelia decaocto

 Türkentaube

 V

Sylvia communis

 Dorngrasmücke

 V

Dryocopus martius

 Schwarzspecht

 

Dendrocopos medius

 Mittelspecht

 

Picus canus

 Grauspecht

 

 

 

 

Mammalia

Säugetiere

 

Myotis bechsteini (KUHL, 1817)

Bechsteinfledermaus

 1

Myotis myotis (BORKHAUSEN, 1797)

 Mausohr

 1

 

 

 

 

 Pflanzen

 

Achillea nobilis

 

 3

Aconitum variegatum

 

 3

Alchemilla filicaulis

 

 G

Alchemilla glaucescens

 

 3

Antennaria dioica

 

 2

Arnica montana

 

 2

Asperugo procumbens

 

 3

Asperula tinctoria

 

 3

Asplenium scolopendrium

 

 2

Blechnum spicant

 

 3

Botrychium lunaria

 

 3

Bupleurum gerardii

 

 1

Bupleurum longifolium

 

 3

Calamagrostis pseudophragmites

 

 1

Campanula cervicaria

 

 1

Campanula latifolia

 

 3

Cardaminopsis halleri

 

 3

Carex echinata

 

 3

Carex flava

 

 3

Carex lepidocarpa

 

 2

Centaurea pseudophrygia

 

 3

Cephalanthera longifolia

 

 3

Chrysanthemum segetum

 

 2

Circaea alpina

 

 3

Colchicum autumnale

 

 3

Coronopus squamatus

 

 3

Crepis mollis

 

 3

Cynosurus cristatus

 

 3

Dactylorhiza maculata

 

 3

Dactylorhiza majalis

 

 3

Dianthus superbus

 

 2

Digitalis grandiflora

 

 3

Eleocharis ovata

 

 2

Epilobium obscurum

 

 3

Equisetum hyemale

 

 3

Eriophorum angustifolium

 

 3

Eriophorum latifolium

 

 2

Eriophorum vaginatum

 

 3

Fragaria moschata

 

 3

Gagea bohemica

 

 3

Gagea minima

 

 3

Galeopsis ladanum

 

 2

Genista germanica

 

 3

Gentianella campestris

 

 2

Geranium lucidum

 

 3

Geum rivale

 

 3

Gnaphalium luteoalbum

 

 1

Hieracium lactucella

 

 2

Hippuris vulgaris

 

 3

Huperzia selago

 

 3

Hypericum humifusum

 

 3

Hypericum montanum

 

 3

Iris sibirica

 

 3

Isolepis setacea

 

 2

Jovibarba sobolifera

 

 1

Juncus filiformis

 

 3

Juncus squarrosus

 

 3

Kickxia elatine

 

 3

Lactuca perennis

 

 1

Lastrea limbosperma

 

 3

Leonurus cardiaca

 

 3

Littorella uniflora

 

 2

Lychnis viscaria

 

 3

Lycopodium annotinum

 

 3

Lycopodium clavatum

 

 3

Malva pusilla

 

 3

Menyanthes trifoliata

 

 3

Monotropa hypopitys

 

 3

Montia fontana

 

 2

Muscari botryoides

 

 0

Myosotis discolor

 

 3

Neslia paniculata

 

 3

Omphalodes scorpioides

 

 2

Orchis mascula

 

 3

Pedicularis sylvatica

 

 2

Peplis portula

 

 3

Peucedanum cervaria

 

 3

Phyteuma orbiculare

 

 2

Pinguicula vulgaris

 

 2

Platanthera bifolia

 

 3

Polemonium caeruleum

 

 1

Polygonatum odoratum

 

 3

Polystichum aculeatum

 

 3

Potamogeton polygonifolius

 

 2

Potentilla palustris

 

 3

Prenanthes purpurea

 

 3

Pyrola minor

 

 3

Ranunculus nemorosus

 

 3

Ranunculus polyanthemos

 

 3

Rhinanthus alectorolophus

 

 3

Rhinanthus angustifolius

 

 3

Rhinanthus minor

 

 3

Salix fragilis

 

 1

Selinum carvifolia

 

 3

Senecio nemorensis

 

 2

Spergula pentandra

 

 2

Stipa pennata

 

 3

Succisa pratensis

 

 3

Taxus baccata

 

 R

Thalictrum aquilegiifolium

 

 1

Thalictrum minus

 

 3

Thelypteris limbosperma

 

 3

Thesium pyrenaicum

 

 3

Thlaspi caerulescens

 

 3

Trifolium aureum

 

 3

Trifolium spadiceum

 

 3

Trollius europaeus

 

 3

Valeriana dioica

 

 3

Verbena officinalis

 

 3

Veronica dillenii

 

 2

Veronica spicata

 

 3

Vicia dumetorum

 

 3

Vicia lathyroides

 

 3

Vulpia bromoides

 

 3

 

Frage Nr. 5:
Welche Arten der Roten Liste könnten bei einem HQ 100 der Selke in ihrem Bestand im Selketal gefährdet sein?

Für die Betrachtung der kumulativen Wirkungen der im Hochwasseraktionsplan Selke geplanten Maßnahmen und für die Bewertung der Eingriffe nach Naturschutzrecht/FFH/SPA ist eine FFH–Verträglichkeitsuntersuchung der FFH–Gebiete SCI Nr. 96 „Selketal und Bergwiesen bei Stiege“ sowie SCI Nr. 72 „Bode und Selke im Harzvorland“ beauftragt. Aufgrund der vegetations- und faunaspezifischen Lebenszyklen ist eine zumindest ganzjährige Untersuchung notwendig, deren Ergebnisse noch nicht vorliegen. Aussagen zur Betroffenheit einzelner Arten können daher nicht vorweggenommen werden.

Frage Nr. 6
Wie verhalten sich die Sachverhalte der Fragen 1 bis 5 bei einem HQ 200?

Die bisherigen Planungen beziehen sich, wie bereits dargestellt, auf ein Schutzziel gegenüber einem Hochwasserereignis HQ 100. Ein Schutzziel HQ 200 war und ist nicht Gegenstand der Planungs- und Bauvorhaben. Somit sind weitere Maßnahmen und Folgekosten nicht darstellbar.


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